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Forschungsreaktor in Mainz

Forschunsgreaktor TRIGA in Mainz
Forschunsgreaktor TRIGA in Mainz
==== endgültige Version ==== (Ergänzungen/Änderungen fett kursiv)

Dipl. Ing. (chem., FH) Karl-W. Koch

Bewertung des Betriebs-Risikos des Mainzer Forschungsreaktor TRIGA Mark II

Durch die Ereignisse in Fukushima und eine negative Sicherheitsbewertung des Berliner Forschungsreaktors in Wannsee[1] wurde der Blick auf die insgesamt drei Forschungsreaktoren in Deutschland gelenkt. Einer davon steht in Mainz: TRIGA Mark II auf dem Universitätsgelände und dient der Forschung, Weiterbildung und Lehre. Allerdings ist dieser Reaktor ca. 100 x kleiner als der  Reaktor in Berlin-Wannsee. Ziel ist die Neutronenproduktion für die Forschung. Der Reaktor hat einen “Lebenszeitkern”, d.h. niemand musste bisher oder muss künftig in den Reaktor, um Brennstäbe auszutauschen. Auch wird kein “Brennwechsel” im klassischen Sinn (bei dem es ggf. zu einer schlagartigen Freisetzung von radioaktiven Stoffen geben kann) durchgeführt.

Die Veröffentlichungen veranlassten den Autoren zur Zusammenstellungen eines Fragenkatalogs, welcher am 8. Mai 2012 vom zuständigen Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung beantwortet wurde. Im Auftrag der Landesregierung und im Rahmen der Überprüfung aller Kerntechnischen Anlagen in der Folge der Fukushima-Katastrophe wurde der Reaktor überprüft. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen stellt das Ministerium hier dar.

Der gesamten Bericht der Reaktorsicherheitskommission ist im Internet unter https://www.rskonline.de/downloads/epanlage1rsk447hp.pdf oder hier zu finden. Am 24.8.2012 fand auf Initiative des Autoren (und zeitgleich angefragt durch das Aktionsbündnis: „MONTAGSSPAZIERGANG MAINZ“) eine ausführliche Besichtigung mit Fragemöglichkeiten an die Abteilungsleiterin, den Präsidenten der Universität in Main und dem zuständigen Vertreter des Ministeriums statt (hier die Reaktion der Uni zum Besichtigungstermin).

Aus den Antworten des Ministeriums und den Ergebnissen der Fragerunde vor Ort ergibt sich für mich derzeit folgendes Bild:

  1. Die (geringe) Größe des TRIGA lässt das Ausschließen einer Katastrophe wie in Fukushima oder Tschernobyl begründet zu. Selbst bei einem GAU (im Sinne von größter anzunehmender – nicht mehr beherrschbarer – Unfall kann es weder zu einer radioaktiven Kettenreaktion noch zur Freisetzung Tschernobyl oder Fukushima vergleichbaren Radioaktivitätsmengen kommen. Der Reaktor ist (anders als wir leider in Fukushima sehen müssten) in der Tat selbststabilisierend.
  2. Dem im Rheingraben, also auch in Mainz, vorhandenen großen Erdbebenrisiko wird die Anlage nicht gerecht, sie ist def. NICHT erdbebensicher, eine Zerstörung ist im Fall eines Erdbebens oberhalb der Stärke 6 zu erwarten. Aufgrund der Bauart dürfte dabei allerdings nur wenig Radioaktivität freigesetzt werden.
  3. Die Anlage ist def. NICHT gegen Flugzeugabstürze gesichert, m.E. nicht einmal gegen Abstürze kleiner Maschinen. Das ist in sofern erwähnenswert, als allein in der Zeit der Besichtigung in zwei Stunden fünf (!!) Überflüge in niedrigster Höhe stattfanden.
  4. Im Fall eines Absturzes eines vollgetankten Großflugzeuges (Jumbo, eine der Hauptan-/abflugroute zu Frankfurt) ist durch den Treibstoffbrand m.E. mit Temperaturen von deutlich über 1.000 °C und damit mit einer Freisetzung des gesamten Urans (3,2 kg, davon ca. 10 % hochangereichert) und Plutoniums (12 g) zu rechnen. Dieser Fall hätte die Wirkung einer „schmutzigen Bombe“ und würde zumindest in der direkten Umgebung (Stadtteile von Mainz) eine, wahrscheinlich auch langfristige Evakuierung erforderlich machen.

Mittlerweile liegen dem Ministerium Erkenntnisse zur Erdbebensicherheit vor. Erdbebengefährdung sind Teil des Sicherheitsberichts, der zuletzt 1989 ergänzt wurde. Dieser Abschnitt muss daher dringend den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden. Bedenklich ist, dass die Aussagen zur Erdbebengefährdung bereits 1989 nicht dem damaligen Stand der Wissenschaft genügten und zu optimistisch ausgefallen waren. Die Folge davon ist, das es bis heute kein sogenanntes ingenieurseismologisches Gutachten und keine Erdbebenstation vor Ort am TRIGA-Standort gibt. Unweit des Universitätsgeländes verläuft eine kleinere, seismisch aktive Bruchzone, an der zuletzt am 23.12.2010 ein Erdbeben der Magnitude 3,4 stattfand.

Trotz der geringe Leistung gelten auch für diesen Reaktor die gleichen Stresstest-Regeln wie für alle anderen AKWs und Forschungsreaktoren, d.h. die Betreiber müssen entsprechende Unterlagen vorlegen wie die Sicherheitsberichte. Hier treten  behördlichen Defizite in RLP zutage (fachfremde Behördenmitarbeiter nahmen hier Stellung zur Erdbebensicherheit).

Die endgültigen Bewertungen bzgl. Sicherheit gegen Flugzeugabstürze stehen allerdings derzeit noch aus, sie sind für „Oktober“ angekündigt, erst dann wird eine endgültige Beurteilung möglich sein.

Die m.E. dringend erforderlichen Reaktionen sind daher:

  • Überprüfung der Anlage hinsichtlich Erdbebensicherheiten und ggf. deutliche Nachbesserungen;
  • Erlass eines sofortigen Überflugverbotes in niedriger Höhe (was m.E. ohnehin für das gesamte Unigelände sinnvoll wäre …)
  • Änderung der Flugrouten ab/nach Frankfurt International Airport
    – oder Ertüchtigung der Anlage gegen einen möglichen Absturz (m.E. nicht finanzierbar, da käme einem Neubau gleich)
    – oder endgültige Stilllegung.

Bis die Erdbebensicherheit geprüft und als gegeben bestätigt wurde, muss m.E. der Reaktor vorübergehend stillgelegt werden.

Mehren, den 21.9.2012, Karl-W. Koch

P.S.: Natürlich wurde der beeindruckende “Knalleffekt” (im wahrsten Sinn des Wortes), die blau-sichtbar werdende Tschernenkow-Strahlung der Neutronenfreisetzung auch vorgeführt, durchaus beeindruckend … das kurze Video dazu finden Sie hier.

P.S. 2: das Gutachten des TÜV Rheinland liegt mittlerweile hier vor.