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Hintergründe Störfälle

Update 20.3.2011, 16:00 Uhr und Bewertung

Einschätzung der aktuellen Lage aufgrund der geg. Informationslage:

Bezeichnend für die japanische und weltweite (auch deutsche) Informationspolitik ist die folgende Meldung:

(Focus) 20.03.2011, 15:01 Uhr: Verantwortliche des Atomkomplexes Fukushima haben bekannt gegeben, dass in zwei von sechs Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente in dem Kernkraftwerk die Lage wieder unter Kontrolle sei. Die Temperatur in den Becken sei in einen normalen Bereich abgekühlt. In den anderen Blöcken wird an der Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken weiter mit Hochdruck gearbeitet.

Übersetzen wir mal in verständliches Deutsch: 1. In allen sechs Reaktoren war die Lage in den Abklingbecken außer Kontrolle und in vier von sechs ist sie es immer noch!

Lage der Reaktoren:

Reaktor 1: Vermutlich kein Kühlmittel im Reaktordruckbehälter. Schmelze oder Explosion des Reaktorcontainments jederzeit möglich.

Reaktor 2: Das Gleiche, vermutlich Schäden am Reaktorcontainment.

Reaktor 3: Vermutlich Schäden am Reaktorcontainment. Gefahr einer erhöhten Freisetzung von Plutonium durch den Einsatz von MOX-Brennelementen.

Reaktor 4: War außer Betrieb, daher keine Brennstäbe mehr im Reaktorcontainment. Alle Brennelemente liegen im Abklingbecken. Dort ist offenbar zumindest teilweise eine Kenschmelze eingetreten, die Strahlenbelastung ist dadurch extrem hoch.

Da es in allen vier Reaktoren schwere Explosionen gegeben hat und offenbar alle vier bereits hochgradig verstrahlt sind, ist nicht zu erwarten, dass sich durch den Stromanschluss die Lage irgendwie bessert. Pumpen etc. dürfte weitgehend zerstört sein. Reparaturarbeiten vor Ort aufgrund der extrem hohen Strahlung wären unmöglich.

Reaktor 5 und 6: Beide waren ebenfalls außer Betrieb, die Abklingbecken scheinen noch intakt zu sein, die Kühlung allerdings ist auch hier fraglich. Da es keine Explosionen gab, könnte diese wieder ein Gang gesetzt werden durch Wiederanschluss an das Stromnetz. Das allerdings hängt davon ab, ob die Kühlpumpen noch intakt sind und mit Strom betrieben werden können.

Bewertung: Zumindest in den Rektorcontainments 1 bis 3 und im Abklingbecken vier laufen seit längerem Kernschmelzen. Entweder werden diese die Bodenbehälter bzw. Containments zerschmelzen (vermutete Temperatur der „Atomsuppe“ ca. 2.000°C, Schmelzpunkt der Stahlbehälter ca. 1.500 °C!) und dadurch wird dann extrem viel Radioaktivität freigesetzt oder es kommt in den Reaktorcontainments 1 bis 3 zu Wasserstoff/Knallgas-Explosionen mit derselben Folge. Eine Explosion des Reaktorcontainments 3 wurde vermutlich nur durch Anbohren und Freisetzen des Knallgasgemisches (und Radioaktivität) verhindert (s.u. (ARD) 20.03.2011 05:39 Uhr).

Die Freisetzung von Radioaktivität aus dem Abklingbecken in Reaktor 4 läuft seit der Explosion (Becken, KEIN Containment!) und ist nicht mehr zu verhindern.

 

Radioaktivität:

Hier eine Seite zur Ausbreitung der Radioaktivität in Japan und Messwerte von TEPCO in Fukushima.

Bewertung: Wie vorher gesehen wird die Westküste Nord- und Mittelamerikas von der radioaktiven Wolke erreicht werden. Die entscheidenden Fragen werden sein: 1. Regnet es auf dem Transportweg und wird so Radioaktivität ausgewaschen und 2. wie konzentriert/wie weit verfechernd ist die Strömung und somit wie konzentriert bleibt die Strahlung?

Diese Meldungen (s.u.) sind alarmierender als befürchtet. Nimmt man die Meldung zu den Bohnen von der Südspitze Japans einmal aus (die m.E. nicht durch Fukushima verursacht ist), bleiben die Werte besorgniserregend. Bis Radioaktivität ins Trinkwasser (hat da wer Erfahrungswerte? 24 – 36 h?) oder in die Nahrung gelangt, dauert einige Zeit. Das heißt, die JETZT gemessenen Werte stammen aus den ersten Tage der Katastrophe und berücksichtigen noch nicht die hohen Werte der letzten Tage …

 

Zu der Lage im Einzelnen

Tepco: Block 3 und 4 noch Tage ohne Strom

(ARD) 20.03.2011 14:26 Uhr: Nach Angaben des Fukushima-Betreibers Tepco wird es noch Tage dauern, bis auch die Reaktorblöcke 3 und 4 wieder mit Strom versorgt werden können.

Reaktordruckbehältern 4, 5 und 6 sicher

(GP) 20.03.2011, 13:09 Uhr: Das Japan Atomic Industrial Forum (JAIF) schätzt Wasserstand und Druck in den Reaktordruckbehältern 4, 5 und 6 im Augenblick als sicher ein. In den Reaktordruckbehältern der Blöcke 1, 2 und 3 soll der Wasserstand dagegen weiterhin besorgniserregend niedrig sein. In den Abklingbecken der Reaktoren 3 (MOX-Brennstäbe) und 4 ist der Wasserstand ebenfalls zu niedrig. Beide werden mit Wasser von außen gekühlt. Im Becken von Reaktor 4 soll es eine Wasserstoffexplosion gegeben haben.

(GP) 20.03.2011, 10:30 Uhr: Derzeitiger Stand: Die Mannschaft in Fukushima 1 will versuchen, Reaktor 1 und 2 ans Stromnetz anzuschließen. In Reaktor 3 hatte sich die Lage zwischenzeitlich wieder verschärft, so dass Tepco erneut Druck ablassen wollte. Da dann eine Stabilisierung eintrat, ist dies nicht geschehen. Jetzt soll wieder Wasser auf das Abklingbecken gespritzt werden. Auch Reaktor 4 soll weiterhin mit Wasser von außen gekühlt werden. Da hier noch mehr von Wänden und Dach steht, ist es schwieriger, das Abklingbecken zu treffen.

Druck am Block 3 gestiegen

(ARD) 20.03.2011 05:39 Uhr: Im Anschluss an einen massiven Einsatz von Wasserwerfern am Block 3 des Atomkraftwerks Fukushima ist der Druck im Reaktorkern wieder gestiegen. Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo meldete am Sonntag unter Berufung auf die Atomsicherheitsbehörde, es würden zügig Maßnahmen eingeleitet, um den Druck zu verringern. Zuvor war dieser Reaktor 13 Stunden lang unter Wasser gesetzt worden, um das Abklingbecken für abgebrannte Kernelemente zu füllen.

 

Radioaktivität:

hoch radioaktiver Spinat in der Region Tokio

(FTD) 20.03.201, 14:55: Laut Nachrichtenagentur Kyodo ist in der japanischen Präfektur Tochigi Spinat mit hoch radioaktiven Substanzen entdeckt worden. Auch in der Provinz Gunma, nördlich von Tokio, wurde nach Angaben der Agentur Jiji Press verstrahlter Spinat gefunden. Die Präfektur Tochigi liegt nördlich von Tokio, die Provinzhauptstadt Utsuomiya ist nur 100 Kilometer von der japanischen Metropole entfernt. Wie hoch der Spinat belastet ist, wurde nicht gesagt.

Radioaktiv belastete Bohnen in Taiwan entdeckt

(ARD/FTD) 20.03.2011 10:00 Uhr: In Taiwan sind 14 Kilogramm radioaktiv belastete Bohnen aus Japan entdeckt worden. Bei der Lieferung aus Kagoshima, im Süden Japans (Anm.: ca. 1.000 km Luftlinie von Fukushima entfernt), seien erhöhte Strahlenwerte gemessen worden, teilten die taiwanesischen Behörden mit. Genauere Angaben machten sie nicht.

Radioaktiv verseuchte Milch in 45 Kilometer Entfernung

(ARD) 20.03.2011 00:10 Uhr: Auch 45 Kilometer nordwestlich des Atomkraftwerks Fukushima, in der Stadt Kawamata, übersteigt Japans Gesundheitsministerium zufolge die Belastung von Milch mit radioaktivem Jod den zugelassenen Grenzwert. Das teilte die Nachrichtenagentur Kyodo mit.

Leitungswasser I

(GP) Samstag, 19. März 2011, 16.30 Uhr: Japanische Behörden haben im Leitungswasser nahe des Kraftwerks Fukushima erhöhte Werte von Radioaktivität nachgewiesen. Die Werte sollen den empfohlenen Wert übersteigen, über dem man das Wasser nicht mehr trinken sollte. Der Kontakt mit radioaktivem Jod kann zu einem -erhöhten Krebsrisiko führen.

Erhöhte Radioaktivität im Trinkwasser Tokios

(ARD) 19.03.2011 13:57 Uhr Im Trinkwasser der japanischen Hauptstadt Tokio sind laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Kyodo erhöhte Werte von radioaktivem Jod nachgewiesen worden. Erhöhte Strahlungswerte seien auch bei Trinkwasserkontrollen der Präfekturen Gunma, Tochigi, Saitama, Chiba und Niigata festgestellt worden.

Dazu: (Standard, Österreich) Die Messwerte reichten für radioaktives Jod von 0,27 bis 77 Becquerel (Bq) pro Kilogramm Wasser. Die bekannt geworden Caesiumwerte waren im einstelligen Bereich. Die Grenzwerte in Japan für Jod beträgt 300 Bq pro Kilogramm Wasser und für Cäsium 200 Bq/kg Wasser. Zum Vergleich: Die deutschen Grenzwerte für Milch und Säuglingsnahrung liegen bei 370 Becquerel (Cäsium 134/137) pro Liter beziehungsweise Kilogramm.

 

Quellen:

https://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/erdbeben_in_japan_regierung_ruft_atomaren_notstand_aus/

https://www.tagesschau.de/nachrichtenticker/

https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,752037,00.html

https://www.ftd.de/politik/international/:live-ticker-zur-katastrophe-in-japan-hamburg-verteilt-jodtabletten-an-seeleute/60027914.html

https://www.eurad.uni-koeln.de/

https://www.bmu.de/files/bilder/allgemein/image/jpeg/japan_tepco_messung_07_gr.jpg

https://www.grs.de/informationen-zur-lage-den-japanischen-kernkraftwerken-fukushima-onagawa-und-tokai

https://derstandard.at/1297820865833/Live-Ticker-von-Samstag-Tote-und-Vermisste-auf-mehr-als-20000-angestiegen