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Hintergründe Laufzeitverlängerung

Zwischenfälle im französischen Atomkraftwerk Cattenom

Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulrike Höfken, Sylvia Kotting-Uhl und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Zwischenfälle im französischen Atomkraftwerk Cattenom

Das nur 15 Kilometer von der deutschen Grenze entfernte französische Kernkraftwerk Cattenom an der Mosel ist seit dem 13. November 1986 am Netz.

Die vier Reaktorblöcke des Kernkraftwerks haben jeweils eine Leistung von 1300 Megawatt. In letzter Zeit sind eine Reihe von Meldungen über Zwischenfälle öffentlich geworden. Im Jahr 2009 gab es offiziell neun Zwischenfälle, die auf der Internetseite des Kernkraftwerks aufgeführt sind. In 2010 wurden bereits vier Störfälle offiziell bekannt – der letzte Zwischenfall ereignete sich am 6. Mai 2010. Seitdem ist der dritte Reaktorblock stillgelegt.

Die Zwischenfälle diesen Jahres reichen vom fehlerhaften Transport radioaktiver Abfälle über zwei steckengebliebene Steuerstäbe bis zur radioaktiven Verstrahlung eines Mitarbeiters eines externen Unternehmens bei Wartungsarbeiten. Die französische Atombehörde konstatierte in ihrem Jahresbericht für 2009 ein mangelndes Sicherheitsbewusstsein der Kernkraftwerksbetreiber. Die Zahl der Arbeitsunfälle hat sich von 2008 bis 2009 verdreifacht.

Inzwischen hat die französische Atomaufsichtsbehörde „Autorité de sûreté nucléaire“ (ASN) dem Stromkonzern EDF die Zustimmung erteilt, seine 1.300-MW-Atomreaktoren mit einer neuen Generation Brennstäbe (HTC) auszustatten und einen neuen Modus der Betriebsführung (Galice) anzuwenden. Diese Erlaubnis betrifft auch das Atomkraftwerk Cattenom, wo das neue Verfahren in den kommenden Jahren eingeführt werden soll. Die neuartigen Brennstäbe enthalten einen höheren Anteil an spaltbarem Uran-235. Sie sollen zudem länger im Reaktorkern eingesetzt werden, um die Phasen des Reaktorstillstands wegen Brennelementwechsel zu verkürzen.

Das unabhängige Institut World Information Service on Energy (WISE-Paris) weist darauf hin, dass mit der Einführung des Verfahrens „Galice“[1] nicht unerhebliche Risiken verbunden sind. Es besteht die Gefahr, dass die radioaktive Belastung der Mosel mit dem Wasserstoffisotop Tritium erheblich zunehmen wird, und dies bei einer schon hohen Grundbelastung des Flusses. Außerdem werden die neuen Brennelemente wegen ihres längeren Einsatzes im Reaktorkern stärker kontaminiert, was bei Leckagen zu einer wesentlich höheren radioaktiven Belastung der Umwelt führen kann. Die längeren Wartungsintervalle und die stärkere Beanspruchung durch Neutronenbeschuss, Druck und Hitze führen zu einem schnelleren Materialverschleiß, wie es sich schon bei der Umstellung auf die Betriebsart „Gemmes“ ab dem Jahr 1996 zeigte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, über welches Wissen die Atom- und Umweltbehörden, insbesondere das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), über den Anlagenzustand des an Deutschland grenzenden französische Kernkraftwerks verfügt und wie sich die Kooperation in Sicherheitsfragen zwischen Frankreich und Deutschland gestaltet.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

  1. Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich der Zwischenfälle und der Umstellung der Brennstäbe im Kernkraftwerk Cattenom? Wie wurde sie diesbezüglich von französischer Seite informiert?
  2. Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es für die angrenzende deutsche Bevölkerung und wie werden diese von der Bundesregierung angesichts der hohen Zahl an Zwischenfällen bewertet?
  3. In welcher Form beschäftigt sich die Bundesregierung mit Sicherheitsfragen bezüglich des französischen Kernkraftwerkes Cattenom und des Galice-Verfahrens und zu welchen Ergebnissen ist sie gekommen?
  4. Wie wird die Öffentlichkeit bisher und in Zukunft über die Pläne der EDF und die zu erwartenden Umweltauswirkungen und Sicherheitsrisiken informiert?
  5. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, ein Beteiligungsverfahren der französischen und europäischen Öffentlichkeit über die Einführung des neuen Kernbrennstoffs und die Umstellung auf die Betriebsart „Galice“ zu erwirken?
  6. Beabsichtigt die Bundesregierung, für eine zeitnahe Zusammenstellung und Veröffentlichung der Daten aus der Umgebungsüberwachung von Cattenom zu sorgen? Wenn nein, warum nicht?
  7. Welche Messungen wurden in den letzten 10 Jahren durchgeführt über Belastungen des Wassers (Mosel), der Fische, des Bodens, des Waldes und der landwirtschaftlichen Produkte im Zusammenhang mit dem Atomkraftwerk Cattenom, von wem und mit welchen Ergebnissen (aufgeschlüsselt nach den oben genannten Bereichen und nach Jahren)?
  8. Wie wird die zügige und exakte grenzüberschreitende Informationsübermittlung im Falle eines Störfalles sichergestellt und welches ist der Notfallplan für die deutsche Bevölkerung im Falle des Austritts von Radioaktivität aus dem Kernkraftwerk Cattenom?
  9. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Risiken die französische Atompolitik und welche Möglichkeiten sieht sie, im Rahmen der bilateralen und europäischen Zusammenarbeit in der Energiepolitik gemeinsame Ausstiegsszenarien zu entwickeln?

Berlin, den

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion


[1] Das Kürzel „Galice“ steht für „Gestion avec Augmentation Limitée de l’Irradiation pour les Combustibles en Exploitation“ (Reaktorführung mit beschränkt erhöhter Bestrahlung des eingesetzten Brennstoffs)

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